PR-Interview mit Adrienne Clark-Ott zum Ferndolmetschen (RSI)

Ein Interview mit Adrienne Clark-Ott

AIIC PR (Renate Kretz): Liebe Adrienne, Du bist seit 40  Jahren im Dolmetschgeschäft, wie geht es Dir in diesen Zeiten, hast Du irgendetwas Vergleichbares jemals erlebt?

A: Wie bei den meisten von euch, sind auch bei mir fast alle Einsätze seit Mitte März abgesagt worden. Wir haben für schon zugesagte Tagungen in den meisten Fällen Ausfallhonorar bekommen, aber jetzt kommen nur wenige neue Einsätze rein. Wir sitzen also alle im gleichen Boot.

PR: Was meinst Du, wie wir uns als DolmetscherInnen verhalten sollen, vor allem im Hinblick auf das Ferndolmetschen?

A: Es MUSS weiter gehen. Das sieht auch die Wirtschaft so. Vor allen Dingen die großen Unternehmen machen weiter – irgendwie. Manche versuchen es mit „English only“ oder virtuell. Aber auch sie merken, dass Präsenzveranstaltungen für alle einfach besser sind. Und sie erleben auch, dass viele der eigentlichen Probleme sich im persönlichen Gespräch z.B. in den Pausen am Rande einer Sitzung lösen lassen. Außerdem fühlen sie sich offensichtlich viel wohler, wenn sie sich in ihrer Muttersprache ausdrücken können. Deswegen bin ich fest davon überzeugt: Es wird nicht alles so bleiben, wie es jetzt ist, auch wenn sicher öfter auf virtuelle Sitzungen ausgewichen werden wird, v.a. bei kleineren, kurzen Treffen. Die Unternehmen haben verstanden, wie viel sie an Reisekosten etc. dadurch sparen können.

PR: Nun gibt es verschiedene technische Möglichkeiten, wie wir zurzeit arbeiten könnten; hast Du Präferenzen?

A: Ich persönlich weigere mich, von zu Hause aus zu dolmetschen. Das ist mir einfach zu riskant. Was ist wenn die Internetverbindung abbricht? Oder wenn sonst ein technisches Problem auftritt? Ich bin Dolmetscherin und keine Technikerin. Außerdem kann ich nicht mit Sicherheit gewährleisten, dass es während der Sitzung hier im 4-Familien-Haus ruhig bleibt! Aber ich denke, dass jeder eine solche Entscheidung individuell und ggf. auch in Abhängigkeit der jeweiligen Kundensituation treffen sollte.

PR: Hast Du während dieser Krise schon Erfahrungen im Hinblick auf Ferndolmetschen sammeln können?

A: Inzwischen durfte ich bei einigen Großunternehmen während der Krise tätig sein. Ich bin nicht diejenige, die die jeweils eingesetzte Technik erklären könnte. Dafür hat aiic ausgesprochene Experten. Aber wenn man mich fragt, ob virtuelle Veranstaltungen von der Technik her machbar sind, würde ich sagen:  Ja, mit einigen Kompromissen. Bevor eine Tagung nicht stattfindet, bzw. ohne Dolmetscher, kann man schon so etwas empfehlen – wenn die entsprechenden technischen Voraussetzungen erfüllt sind. Ich würde schon immer betonen, dass wir uns in einer Krise befinden und dass in normalen Zeiten die gewohnten Lösungen vorzuziehen sind.

PR: Könntest Du konkrete Beispiele nennen, wo Du in einem RSI Umfeld gearbeitet hast und im Rückblick Deine Situation als Dolmetscherin bewerten kannst?

A: Ich war kürzlich bei einer Hauptversammlung. Wir waren 3 Kollegen und saßen getrennt in 3 Doppelkabinen – social distancing! Es hat funktioniert, die Ton-und Bildübertragung in den Dolmetschkabinen war sehr gut; bei der Bildübertragung hat uns nur die Sicht auf die Präsentationsfolien gefehlt; dieser für uns doch sehr wichtige Punkt war irgendwie untergegangen. Es lehrt uns aber, dass wir schon im Vorfeld selbst mitdenken und vielleicht anhand einer Checkliste den Ablauf mitbestimmen können. Aber ich habe das Teamwork sehr vermisst. Auch wenn man Sicht durch das Fenster hat, kann man dem Kollegen nur sehr schwer mit Zahlen, etc. aushelfen. Und das Handover klappte auch nicht so ohne Weiteres. Und wenn man aus derselben Kabine arbeitet, kann man viel besser beim Kollegen zuhören und z.B. bei der verwendeten Terminologie konsequent sein. Noch dazu kommt: da die Redner vor keinem Publikum standen, haben sie selbstverständlich viel schneller als sonst abgelesen. Es kam nichts Spontanes. In so einer Situation ist es umso wichtiger, dass wir Dolmetscher frühzeitig und ausreichend mit Unterlagen, auch Vorab-Versionen, versorgt werden. Ich stelle immer wieder fest, dass Unternehmen meistens nicht bereit sind, uns Entwürfe zur Verfügung zu stellen mit dem Ergebnis, wir bekommen die Finalversionen oft recht kurzfristig. Auch diesen Punkt könnten wir auf einer Checkliste aufführen.

PR: Meinst Du, wir müssen befürchten, dass sich solche virtuellen Veranstaltungen nach der Krise fortsetzen?

A: Virtuelle Hauptversammlungen sind wohl nur während der Coronakrise durch das Notstandsgesetz erlaubt. Wir können nur hoffen, dass dies im nächsten Jahr nicht mehr gilt und dass wir zu Präsenzveranstaltungen zurückkehren.

PR: Wie sieht es mit kleineren Veranstaltungen aus, besteht da nicht die Gefahr, dass Kunden sich an derzeitige Notlösungen gewöhnen und sie beibehalten?

A: Aufsichtsratssitzungen zum Beispiel finden ja weiterhin statt – in manchen Fällen allerdings zurzeit nur auf Englisch, wenn z.B. die Anteilseigner ohne Mitarbeitervertreter zusammen kommen. Ich durfte neulich bei einigen solcher Sitzungen dolmetschen. Die Teilnehmer waren fast alle per Telefon zugeschaltet, wir waren vor Ort beim Unternehmen. Hier war der Ton z.T. miserabel. Wir verstanden einen Teilnehmer aus USA viel besser als jemanden, der irgendwo aus München zugeschaltet war. Und die Teilnehmer waren mir zum Glück alle aus früheren Sitzungen bekannt, was die Arbeit schon sehr erleichterte. Ich frage mich, wie es gehen soll, wenn uns die Teilnehmer nicht bekannt sind bzw. was passiert, wenn sie schon unter normalen Umständen schwer zu verstehen sind? Hier meine ich z.B. starke Dialekte oder Ausländer, die die Sprache nur schlecht beherrschen. Dann wird das Dolmetschen ein Ratespiel, was sehr gefährlich werden könnte.

PR: Gibt es Lerneffekte, die wir z.B. auch an unsere KollegInnen oder auch an Kunden und Veranstalter in der Beratung weitergeben können?

A: Mir ist v.a. aufgefallen, dass nicht nur wir, sondern auch die Teilnehmer lernen müssen, mit der neuen Situation umzugehen. Wir hatten bei einigen Teilnehmern störende Hintergrundgeräusche (Telefone klingelten, Kinder im Hintergrund – Home Office lässt grüßen!, Räuspern bei noch eingeschalteten Mikros). Hier können auch die Kunden noch viel lernen. Einer hatte seinen privaten Bildschirm – unwissentlich – gezeigt. Man konnte seine Mails lesen! Ein anderer wusste wohl nicht, dass er, auch wenn er nicht das Wort ergriffen hatte, zu sehen war und bohrte immer wieder in der Nase. Ein weiterer Teilnehmer gähnte ständig. All dies wäre in einer Präsenzsitzung bei diesen sonst sehr korrekten Teilnehmern nicht passiert.

PR: Kannst Du Deinen bisherigen Einsätzen insgesamt etwas Gutes abgewinnen?

A: Ja, alles in allem hat es meistens gut geklappt, und wenn nicht, konnte man den Teilnehmenden zumindest begreiflich machen, dass Beiträge z.B. akustisch nicht verständlich waren. Aber um mit einer etwas humoristischen Note zu schließen: Ich habe mich sehr über den Geschmack mancher sonst so feschen Teilnehmer gewundert. Die Gemälde und Leuchten in Ihrem Homeoffice hätte ich ihnen nicht zugetraut!

PR: Genial! Auch da könnten wir also beratend eingreifen! Ganz herzlichen Dank, liebe Adrienne, für Deine Zeit und Mühe! Take good care of yourself!

A: Kommt alle gut durch die Krise, passt auf euch auf und hoffentlich bis ganz bald mal wieder!

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