Ausstellung “Ein Prozess – Vier Sprachen. Die Dolmetscher der Nürnberger Prozesse”

Christopher Thiéry, Ehrenpräsident der AIIC
Christopher Thiéry, Gründungsmitglied und Ehrenpräsident der AIIC

Ausstellung im September und Oktober 2018 in der slowenischen Hauptstadt Ljubljana

Im November 1945 begann der erste Nürnberger Prozess. Schaut man sich die historischen Schwarz-Weiß-Bilder der Ankläger, Anwälte und der Angeklagten an, fällt auf, dass viele von ihnen Kopfhörer tragen. Denn im Gerichtsaal wurde Englisch, Französisch, Russisch und Deutsch gesprochen und eine Verständigung war nur über die im Kopfhörer zu hörende Verdolmetschung möglich. Eine Reihe von jungen sprachkundigen Frauen und Männern im Alter von Anfang bis Mitte zwanzig waren für die Verdolmetschung des Geschehens rekrutiert worden. Dazu wurde eine für die damaligen Verhältnisse sehr moderne IBM-Dolmetsch-Anlage eingesetzt. Über die Kopfhörer konnten Richter, Ankläger, Verteidiger, Angeklagte und Zeugen der Gerichtsverhandlung in der jeweils für sie relevanten Sprache folgen bzw. ihre Redebeiträge in ihrer Muttersprache abgeben.

Die Geburtsstunde des modernen Konferenzdolmetschens

Die Dolmetscher arbeiteten in Nürnberg „simultan.“ Simultan bedeutet, dass die Dolmetscher die Verhöre und Aussagen mit äußerst geringer zeitlicher Verzögerung direkt in ihr Mikrofon dolmetschten. Bei diesem historischen Ereignis in Nürnberg waren sie, dazu noch vor den Augen der Weltöffentlichkeit, für die reibungslose Verständigung zwischen allen Parteien verantwortlich. Gleichzeitig verhalfen sie mit ihrer Pionierleistung aber auch dem Beruf des Konferenzdolmetschens zum Durchbruch. Die schon in Nürnberg umgesetzten wichtigen Aspekte des Konferenzdolmetschens waren: das Arbeiten im Team, die Nutzung tontechnischer Anlagen, die simultane Verdolmetschung, die den Zuhörern/Beteiligten die Möglichkeit der Sprachwahl bot.

 

Wer waren die Dolmetscherinnen und Dolmetscher?

Der mit der Organisation der Dolmetscher betraute Léon Dostert, der während des Krieges unter anderem General Eisenhowers persönlicher Dolmetscher gewesen war, fand die Kandidaten für die anspruchsvolle und sehr belastende Aufgabe in ganz Europa und in den USA. Diese zumeist sehr jungen Personen waren mehrheitlich Exilanten und Überlebende der Shoah. Zu den Dolmetschern zählten aber auch weißrussische Aristokraten, die vor der russischen Revolution ins Exil geflohen waren. Auf der sowjetischen Seite fanden sich linientreue Diplomaten genauso wie Opfer des Stalinismus. Die Lebensläufe der Dolmetscher zeichnen so auch ein Portrait des Europäischen Kontinents in diesem Zeitalter der Extreme.

Ursprung des Berufsstandes

Die Dolmetscherinnen und Dolmetscher der Nürnberger Prozesse zählten im weiteren Verlauf ihres Berufslebens zur ersten Generation professioneller Simultandolmetscher. Sie legten mit ihrer Arbeit den Grundstein für den Berufsstand der Konferenzdolmetscher und trugen, unter anderem wenige Jahre später in Paris (1953) zur Gründung der AIIC, dem Internationalen Verband der Konferenzdolmetscher, bei. Einige der Dolmetscher aus der Zeit der Nürnberger Prozesse gingen beispielsweise nach New York und begleiteten die Einführung des Simultandolmetschens bei den Vereinten Nationen

Die Ausstellung

Im Mittelpunkt der Präsentation stehen die Biographien der Dolmetscherinnen und Dolmetscher, die – sofern sieben Jahrzehnte später noch rekonstruierbar – mithilfe von Text- und Bildmaterialien vorgestellt werden. Daneben wird mit Original-Exponaten die Technikgeschichte des Simultandolmetschens beleuchtet, darunter ein sogenanntes Kerzenhaltertelefon mit einem „Hush-a-phone“ sowie Exponate aus den 1960er und 1970er Jahren.

Zu Gast in Ljubljana und Maribor

Zur Feier seines 60-jährigen Bestehens organisiert der Slowenische Verband der Konferenzdolmetscher ZKTS  zusammen mit der AIIC ein umfangreiches Begleitprogramm zur Ausstellung. Schirmherren sind der Bürgermeister von Ljubljana, Zoran Janković, und Klaus Peter Riedel, Deutscher Botschafter in Slowenien.

Vorherige Stationen

Die Ausstellung „Vier Sprachen – Ein Prozess“ wurde erstmalig 2013 in Nürnberg gezeigt. Seitdem wurden die Präsentation und die Inhalte ständig überarbeitet und erweitert. Ljubljana ist nun der elfte internationale Ausstellungsort nach Stationen im Goethe-Institut in Athen, in Berlin, Bologna, Den Haag, Frankfurt, Hamburg, London, am Europäischen Gerichtshof in Luxemburg, in Mailand, Mainz, im Gebäude der Vereinten Nationen in New York, am UNESCO-Sitz in Paris, in Potsdam, San Francisco und im arte-Gebäude in Straßburg.
Träger der Ausstellung ist mit Unterstützung der AIIC-Region Deutschland der Verein Konferenzdolmetschen – Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft e.V. (Nürnberg).
Die nächsten Stationen sind die Universität Maribor und das ISIT (Institute of Intercultural Management and Communication) in Paris.

Ein Prozess – Vier Sprachen: Ausstellung und Programm Ljubljana 2018