Frage: Frau Keil, Sie arbeiten als Konferenzdolmetscherin für Deutsch, Spanisch, Englisch und Französisch. Wie sind Sie zu Ihrem Beruf gekommen?
Angela Keil: Das lief bei mir wie bei vielen anderen Dolmetschern auch. Ich bin im Ausland aufgewachsen und ich habe mich schon immer für Sprachen interessiert. In meinem Fall war es so, dass mein Vater Lehrer, Dozent und Übersetzer war. Und mir war von Anfang an klar: Das alles will ich NICHT werden, aber ich will was mit Sprachen machen. Und deshalb bin ich Konferenzdolmetscherin geworden.
Und warum sind Sie in AIIC eingetreten?
Anfangs aus rein praktischen Gründen, später kam die Überzeugung hinzu, dass internationale freiberufliche Dienstleister einen internationalen Verband benötigen. Als Konferenzdolmetscherin ist man meist Freiberuflerin und man braucht ganz einfach Kontakt zu den nationalen und internationalen Kollegen, um zu wissen, wie sich der Markt entwickelt, wie man professionell auftritt, wie man Kunden akquiriert. Schon an der Universität hatten wir als Studenten die Gelegenheit, Fortbildungen von AIIC- Dolmetscherinnen zu besuchen. Wir haben viel von ihnen gelernt: über Arbeitsbedingungen, über die Wahrung der Vertraulichkeit, über die berufliche Praxis. Deshalb wusste ich, ich brauche dringend Kontakt zu Kollegen und kam sofort auf AIIC.
Warum gerade AIIC?
Weil AIIC die einzige Berufsvertretung von Konferenzdolmetschern ist, die auf internationaler Ebene agiert. AIIC verhandelt als Tarifpartner über Qualität und Standards mit der EU und der UNO. Und diese internationalen Organisationen brauchen auch einen internationalen Ansprechpartner, um internationale Abkommen zu schließen. Wir nennen das wirklich Tarifpartner, weil wir ja quasi eine gewerkschaftliche Funktion haben. Eine große Errungenschaft von AIIC ist es, dass AIIC bei diesen internationalen Organisationen nicht nur die AIIC-Mitglieder vertritt, sondern z. B. alle bei der Europäischen Union akkreditierten Dolmetscher, die im Gegenzug alle AIIC als ihre Vertretung anerkennen.
Sie sind im Februar 2015 von der AIIC-Vollversammlung zur neuen AIIC-Präsidentin gewählt worden. Warum haben Sie sich für dieses Amt beworben?
Ich habe es mir lange überlegt. Ich habe seit Jahrzehnten verschiedene Ämter in AIIC ausgeübt und in verschiedenen Arbeitsgruppen gearbeitet. Letztes Jahr hatte ich dann das Gefühl, dass ich nun in der Lage bin, auch auf internationaler Ebene im Vorstand von AIIC einen Betrag leisten zu können. Ich stehe mitten im Berufsleben, habe zum Glück etwas zeitlichen Spielraum, um ein Ehrenamt zu schultern, und daher habe ich mich entschlossen, für die AIIC-Präsidentschaft zu kandidieren.
Was waren in den ersten Monaten Ihrer Amtsperiode die größten Herausforderungen?
Am Anfang eines neuen dreijährigen Mandats muss man intern erst einmal ganz viele Dinge organisieren. Die letzte Vollversammlung hat zudem einige Strukturen innerhalb des Verbandes geändert. Da mussten wir also sowohl die Statuten und die Satzung überarbeiten als auch den neuen Vorstand und den neuen Beirat aufstellen. Wir haben auch sofort die Kontakte zu internationalen Organisationen wie der EU weitergeführt, vor allem um die Themen Sprachenvielfalt und Verdolmetschung positiv zu bearbeiten. Für uns ist wichtig, dass das Dolmetschen und auch das Übersetzen innerhalb des internationalen Austauschs einen positiven Stellenwert behalten.
Gilt das auch vor dem Hintergrund des „Global English“ oder sogenannten „Globish“?
Englisch- und Fremdsprachenkenntnisse sind per se etwas sehr Gutes. Aber Muttersprachler sind immer im Vorteil. Bereits im Alltag spielt das eine gewisse Rolle. In vielen Unternehmen ist es so, dass bestimmte Managerposten nur an Leute vergeben werden, die auch Englisch sprechen können. Nur, dass man eine Sprache gut beherrscht, bedeutet noch lange nicht, dass man in dieser Fremdsprache auch in jeder Situation überzeugend ist. Und dass man in der Fremdsprache die Interessen seiner Kunden, Mitarbeiter, seiner Mandanten, seiner Wähler genauso gut vertreten kann wie in der Muttersprache. Bei englischsprachigen Veranstaltungen machen die englischen Muttersprachler immer den besten Eindruck, weil die sich natürlich am besten ausdrücken und verschiedene rhetorische Register ziehen können. Bei intensiven und konfliktgeladenen Verhandlungen mit Muttersprachlern sind selbst diejenigen Verhandlungspartner, die Englisch sehr gut beherrschen, immer im Nachteil. Hier helfen Dolmetscher, ein sprachliches Gleichgewicht zu erreichen.
Haben Sie einen Tipp für die Praxis?
Verhandlungen, Redebeiträge, Diskussionen sollte man nach Möglichkeit in der Muttersprache führen. Ein Beispiel: Eine Freundin, die für eine internationale Gewerkschaft arbeitet, sagte mir mal: „Ich muss jetzt Englisch lernen, damit ich in den Sitzungen auch Englisch sprechen kann.“ Daraufhin sagte ich: „Du musst schon Englisch lernen, um zwischen den Sitzungen Kontakte zu knüpfen mit den Kollegen und englische Dokumente lesen zu können. Aber überlege dir gut, ob du auf einer Sitzung auf europäischer Ebene Englisch sprichst, weil der Vorsitzende eures Ausschusses englischer Muttersprachler ist; der ist dir in jedem Fall rhetorisch und sprachlich haushoch überlegen. Du wirst immer im Nachteil sein.“ Als bei einer späteren Sitzung vorgeschlagen wurde, in Zukunft auf Dolmetscher zu verzichten, ist das mit diesem Argument der sprachlichen Fairness von der Mehrzahl der Mitglieder abgelehnt worden.
Gilt dies auch für internationale Konferenzen?
Das kann man klar mit Ja beantworten: Dolmetschen trägt zur besseren Verständigung und zu aktiveren Diskussionen auf internationalen Konferenzen bei. Es gibt zahlreiche Studien und Forschungsarbeiten, die nachweisen, dass ein Redner, der seine Muttersprache spricht, sehr viel besser verstanden wird, sehr viel besser rüber kommt. Ein Zuhörer, der eine Verdolmetschung bekommt, auch wenn er sehr gut das Englische beherrscht, kann sich sehr viel besser auf die Inhalte konzentrieren. Auch die Diskussionen auf einer Konferenz laufen nachweislich aktiver, wenn Dolmetscher anwesend sind und die Teilnehmer in ihrer Muttersprache reden können.
Auch der früherer Außenminister Genscher betont immer wieder die positive Rolle von Dolmetschern.
Dolmetscher arbeiten häufig in Ministerien und auf Staats- und Regierungsebene. Es verläuft kein Gipfel, kein Arbeitstreffen, keine Delegationsreise ohne Dolmetscher. Ein Regierungschef oder ein Minister weiß genau, dass er am besten die Interessen seines Landes und seines Ministeriums vertreten kann, wenn er seine Muttersprache spricht. Alles was zählt, ist die gelungene Kommunikation und das Ergebnis der Verhandlungen. Da wird die Arbeit der Dolmetscher wie selbstverständlich genutzt und sehr geschätzt, da ist Genscher nicht allein.
Wie sehen Sie die Aufgaben von AIIC heute?
Zur Strategie von AIIC für die nächsten drei Jahre gehört es, dass der Beruf „Konferenzdolmetscher“ und sein breites Leistungsspektrum bekannter werden. Dazu gehören die mehrsprachige mündliche Kommunikation und deren effiziente Organisation durch professionelle Dolmetscher. Und dass Leute, die bislang nicht die Leistungen von Dolmetschern buchen, immer wieder darauf aufmerksam gemacht werden, dass es diesen Beruf gibt und dass wir einen großen Mehrwert bieten.
Warum wird der Mehrwert von Dolmetschen nicht sofort erkannt?
Dolmetscher und ihre Leistungen sind meist unsichtbar. Das ist im Prinzip ein Kompliment für uns: Je weniger man von den Dolmetschern nach einer Konferenz spricht, desto besser. Das heißt, dass die Kommunikation während der Konferenz im Fluss war und dass den Teilnehmern gar nicht aufgefallen ist, dass Dolmetscher im Hintergrund gearbeitet haben. Darin liegt aber auch die Herausforderung: Die Leistung und die Qualität werden oft nicht als essentieller Faktor wahrgenommen und vielleicht von den Organisatoren bei der nächsten Konferenz vernachlässigt. Da steuert AIIC gegen, z. B. mit der Betonung der Funktion der beratenden Dolmetscher.
Was zeichnet die beratenden Dolmetscher aus?
Ihr unternehmerisches Agieren. Freiberufliche Dolmetscher sind auch Unternehmer, sie müssen Aufträge akquirieren, den Kunden fachlich beraten und ihn logistisch entlasten Beratende Dolmetscher gehen einen Schritt weiter: Das sind Kollegen, die in Zusammenarbeit mit einem möglichen Kunden ein Team zusammenstellen, die geeigneten Dolmetscher suchen, die geeigneten Sprachkombinationen, den Kunden beraten, auch bei der Auswahl der Technik. Diese beratenden Dolmetscher stehen auch in direkter unternehmerischer Konkurrenz mit großen Agenturen, die Dolmetschleistungen vermitteln. Für meine Präsidentschaft ist es mir wichtig, diesen unternehmerischen Aspekt der Dolmetscher stärker zu fördern. Wir sind eben einfach nicht nur Linguisten, jeder einzelne von uns ist Unternehmer und einige setzen sich als Unternehmer noch stärker dafür ein, mit dem Kunden gemeinsam eine internationale Konferenz vorzubereiten. Diese Kollegen bieten dem Kunden einen hilfreichen Dienst und vergeben natürlich auch Aufträge an andere Kollegen.
Während der Markenname „AIIC“ geschützt ist, ist die Berufsbezeichnung „Konferenzdolmetscher“ nicht geschützt, jeder kann sich so nennen. Wie reagiert AIIC auf diese Herausforderung?
Indem wir eben die Qualitätsmerkmale von Konferenzdolmetschern betonen. AIIC-Dolmetscher verfügen über hervorragende Sprachkenntnisse und ein hohes Bildungsniveau, sind professionell ausgebildet, sind professionell ausgestattet und bereiten sich professionell auf ihre Dolmetsch-Einsätze vor. AIIC legt daher auch viel Wert auf die professionelle Qualität der Ausbildung an Universitäten und erhöht die Sichtbarkeit der guten Ausbildungsinstitute auf ihrer Internet-Seite mit unserem Qualitätssiegel.
Sie haben sich ungefähr vor zehn Jahren an der Arbeitsgruppe „Zukunft für die AIIC-Region Deutschland“ beteiligt. Haben Sie sich damals die Zukunft Ihres Berufs, so wie er sich jetzt darstellt, ungefähr so vorstellen können?
Ja, vor zehn Jahren waren die großen Entwicklungen schon klar absehbar: Digitalisierung und die steigende Notwendigkeit, die Qualität der Dolmetschleistung durch die Definition von professionellen Arbeitsbedingungen sicherzustellen. Die Basics sind, dass professionelle Dolmetscher im Team arbeiten, dass sie sich circa alle 30 Minuten abwechseln, dass die Dolmetscher die Redner sehen können müssen und dass die Technik verlässlich funktionieren muss. AIIC arbeitet auf internationaler Ebene mit an den ISO-Standards für das „Remote Interpreting“ per Internet. Nicht zuletzt die Datenleitungen müssen sehr gut sein: Nichts ist schlimmer für einen Kunden als wenn der Rednerton mit einer Zeitverzögerung zum Dolmetscher kommt und die Zuhörer dann Bild, Rednerton und Dolmetscherton zeitversetzt sehen bzw. hören.
Ist das Internet mit den Gratis-Angeboten von Dolmetsch- und Übersetzungsleistungen für professionelle Dolmetscher Fluch oder Segen?
Weder noch, sondern ein Arbeitsmittel. Viele Dolmetscher nutzen beispielsweise die üblichen Cloud-Dienste zum Aufbau von Fachglossaren, die dann die Teams während Fachkonferenzen nutzen. Da sind Dolmetscher immer schneller als Online-Wörterbücher oder Google, weil wir ja auch aktuelle Ereignisse wie die Konferenzen rund um die Euro- oder Flüchtlingskrisen dolmetschen, die eigene Terminologien schaffen und die dann sofort auf Deutsch, Englisch, Portugiesisch oder Griechisch eingesetzt werden müssen. Nicht nur hier sind Sprach-Apps und maschinelle Übersetzungen oder maschinelle Dolmetschdienste im Hintertreffen. Sie scheitern meist an bereits wenig komplexen Inhalten und an menschlichen Faktoren wie Ironie, Mimik, und Emotionen. Und abschließend dazu: Professionelle Dolmetscher garantieren Vertraulichkeit, das ist ein großer Vorteil gegenüber internetgestützten Dolmetschdiensten und dem allgemein geringen Standard beim Datenschutz im Internet.
Die AIIC-Region Deutschland hat 2015 einen Nachwuchspreis für Studierende ausgelobt. Begrüßen Sie so aktive Nachwuchsförderung seitens der Regionen?
Ich finde die Idee hervorragend. Die belgische AIIC-Region hat 2014 den ersten Nachwuchspreis eingeführt. Das zeigt, dass über die internationalen Kontakte in AIIC positive Beispiele konstruktiv aufgenommen werden. Der Preis führt dazu, dass die Studierenden von AIIC hören, sich mit unserem Berufsverband auseinandersetzen und Kontakt zu AIIC aufnehmen. Eines unserer Ziele ist es natürlich, gut ausgebildete Dolmetscher in unseren Verband aufzunehmen, da treffen sich die Interessen beider Seiten.
Dabei stellt man sich Dolmetscher oft als Einzelkämpfer vor, ist dem so?
Als Dolmetscher arbeitet man nie allein, sondern immer im Team. Das ist faszinierend an diesem Beruf, zumindest für mich, da ich jeden Tag mit ganz anderen Leuten zusammenkomme und ein anderes Thema bearbeite. So lerne ich jeden Tag Neues. Dieses ständige Lernen ist für mich einer der großen Vorteile des Berufs und meiner Tätigkeit in AIIC.
Links:
• Simon Kuper, „Why proper English rules OK“, Financial Times, October 20, 2010.
• Interpreting.info – your questions & answers about spoken language translation, thread “Are there any studies or papers on the added-value of having simultaneous interpreting vs conducting meetings in English only“.
• AIIC-Region Deutschland: „Beratung“.