Teil 2
Die PR-Referentinnen der AIIC Deutschland haben neben ihren zahlreichen PR-Aufgaben für dieses Jahr ein neues Projekt auf ihre Agenda gesetzt. Es sollen diverse ‚Persönlichkeiten‘ interviewt werden, die direkt oder indirekt in Themen unseres Berufes eingebunden bzw. diesen gegenüber besonders exponiert sind. Der Reigen der Gespräche wird von Herrn Roland Schmieger, Leiter des Dolmetschdienstes im Auswärtigen Amt in Berlin, eröffnet. Herr Schmieger hat den PR-Referentinnen nicht nur seine kostbare Zeit gewidmet, sondern sie auch noch mit einem äußerst herzlichen, aufschlussreichen und humorvollen Gespräch erfreut. Wir sind ihm dafür sehr dankbar!
AIIC: Viele der Kolleginnen und Kollegen in den Sprachendiensten der Ministerien sind nicht im Verband organisiert. Es ist schade, dass es relativ wenig Austausch gibt zwischen den Bereichen. Wären Sie daran interessiert, sich mit freiberuflichen Kolleginnen und Kollegen auszutauschen?
R.S.: Das finde ich nicht abwegig, natürlich haben wir durch die vielen Konferenzen viel Austausch mit AIIC-Kolleginnen und -Kollegen. Wir arbeiten oft in Teams mit freiberuflichen Kollegen. Und wir haben auch Kolleginnen und Kollegen, die selbst Mitglied in der AIIC oder dort aktiv sind. Wir haben also Schnittstellen, deshalb ist der Bedarf bei uns vielleicht nicht ganz so groß wie in kleineren Häusern, aber grundsätzlich finde ich, dass man das in Erwägung ziehen kann.
AIIC: Wie viele fest angestellte Kollegen haben Sie ?
R.S.: Wir haben hier 22 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Auswärtigen Amt. Wobei zwei gerade in Elternzeit sind, aber grundsätzlich sind es 22. Die meisten sind dabei sowohl als Dolmetscher als auch als Übersetzer eingesetzt.
AIIC: Kommen wir zum Thema Nachwuchs. Das hatten wir vorhin schon angerissen. Sie können hier bei Ihnen keine Absolventen ins kalte Wasser stürzen, das könnte gefährlich werden…
R.S.: Nein, das können wir mit unseren Kunden hier nicht machen, das wäre zu gefährlich.
AIIC: Aber eine stumme Kabine ist ja schon mal eine Option.
R.S.: Ja, stumme Kabine, das haben wir gelegentlich gemacht. Das kann man aber auch nicht bei jeder Konferenz tun, da es oft Sicherheitsbeschränkungen gibt. Aber in dem Rahmen, in dem es – auch logistisch – möglich ist, machen wir das grundsätzlich gerne. Es liegt mir schon am Herzen, dass auch die jüngere Generation allmählich hereinwächst. Wir können nicht erwarten, dass jemand von heute auf morgen bereit ist, die Bundeskanzlerin in jeder Lage zu dolmetschen. Man muss auch dafür sorgen, dass der- oder diejenige erst einmal so weit kommt. Insofern ist mir das Thema schon wichtig. Von meiner Position aus gesehen ist es natürlich praktisch, diejenigen zu verpflichten, die schon tausendmal dabei waren. Da muss man nicht viel erklären, man riskiert nichts. Aber irgendwann haben alle eine gewisse Altersgrenze überschritten und sind vielleicht nicht mehr die besten. Deshalb glaube ich, dass es gut ist, wenn man eine gesunde Mischung hat und auch die Jüngeren langsam hereinwachsen können. Am besten zusammen mit erfahrenen Kollegen.
AIIC: Aber die Grundlagen müssen natürlich in den Ausbildungsinstituten gelegt werden, auch was etwa den politischen Kontext und ähnliches angeht.
R.S.: Ja, das ist ganz klar. Zumindest das Technische und auch eine gewisse Grundallgemeinbildung müssen natürlich vorhanden sein, sowie auch das richtige Auftreten. Aber wir stellen fest, dass es eine Tendenz auf dem Markt gibt, dass es mit dem Konsekutivdolmetschen immer schwieriger wird, weil es in der Ausbildung offensichtlich nur noch eine Nebenrolle spielt. Klar, der Markt verlangt es so. Wir sind sozusagen die letzten Mohikaner, die wirklich noch in größerem Umfang konsekutiv arbeiten. Deshalb wird die Suche nach Dolmetschern für diesen Bedarf auch zunehmend schwieriger.
AIIC: Das ist ein sehr guter Punkt. Die Institute bemühen sich tatsächlich, auch das konsekutive Dolmetschen noch zu lehren, denn es ist ja Teil der Berufsbezeichnung Konferenzdolmetscher. Ein Konferenzdolmetscher sollte alle Dolmetschformen beherrschen. Nur gibt es auf dem Privatmarkt kaum noch eine Nachfrage und es wird auch immer schwieriger, Kollegen zu finden, die tatsächlich eine ausgereifte konsekutive Leistung z.B. vor großem Publikum bieten können.
R.S.: Ganz zu schweigen von solchen Dingen wie dem Notat im Stehen. Das wird ja an den Universitäten gar nicht gelehrt, glaube ich. Oder nur am Rande… Und da haben wir schon Kollegen gehabt, die das als extrem belastend empfunden haben, beispielsweise eine Tischrede im Stehen, ohne auflegen zu können, notieren zu müssen.
AIIC (scherzend): Dafür gibt es aber ganz spezielle Blöcke!!
R.S.: Ja, natürlich, aber man muss es auch geübt haben und sicher darin sein. Die Studienabgänger bringen das in der Regel nur rudimentär mit. Es wird auch bei uns seltener: Auch bei uns geht die Tendenz natürlich zum Simultandolmetschen. Im Bundeskanzleramt wird nur noch simultan gedolmetscht, einschließlich bei den Arbeitsessen.
AIIC: Bei Essen dann wahrscheinlich mit Personenführungsanlage (PFA)?
R.S.: Nein, nein, die lehnen wir nach wie vor grundsätzlich ab.
AIIC: Tatsächlich auch bei Arbeitsessen?
R.S.: Ja, auch da wird simultan mit Kabine gedolmetscht, wobei die Kabinen dann oft im Nebenraum stehen. Es gibt dann eine Übertragung auf Monitor, das geht ganz ordentlich, die Techniker kennen sich gut aus, die Qualität ist in der Regel sehr gut.
Eine Personenführungsanlage nutzen wir eigentlich nur in Situationen, für die sie auch wirklich gedacht ist, zum Beispiel bei einem Messerundgang oder Ähnlichem, also in Bewegung, da geht es ja gar nicht anders. Natürlich gibt es immer wieder Vorstöße. Da hat dann jemand gesehen, dass es so etwas gibt, was kostengünstiger ist als eine Kabine, und das wäre doch schön… Wir haben es bis jetzt fast jedes Mal geschafft abzulehnen. Einmal hat eine oberste Bundesbehörde sich mit dem Wunsch nach Einsatz der PFA durchgesetzt, auf einer großen Reise. Das ist gründlich gescheitert. Seitdem will man auch dort nichts mehr davon wissen.
AIIC: Ja, das ist ein wichtiger Punkt und auch ein großes Thema auf dem Privatmarkt. Da wird immer häufiger nach einer PFA statt einer Kabine gefragt. Wir sind Ihnen sehr dankbar, dass Sie da so auf ihren Prinzipien beharren.
R.S. (lachend): Dafür werden wir bis zum letzten Mann kämpfen.
AIIC: Wir wollen ihre Zeit nicht überstrapazieren, aber es gibt noch ein Thema, das uns bewegt: Es ist festzustellen, dass sich der sprachliche Umgang unter Politikern ja doch drastisch geändert hat oder dabei ist sich zu ändern. Merken Sie das bei ihren Veranstaltungen auch? Oder bekommen Sie auch mal ein entsprechendes Feedback von Ihren Dolmetschern dahingehend, dass sich die Art und Weise, wie gedolmetscht wird, ändern oder anpassen muss?
R.S.: Ich würde sagen: Die dramatischste Veränderung, die sich im Laufe der Jahre ergeben hat, ist diese Tendenz, dass immer mehr Politiker englisch sprechen. Oder zumindest glauben, es selbst so gut zu können, dass sie alle Gespräche selbst auf Englisch führen können. Solange sie es alleine ohne Dolmetscher machen, bekommen wir ja nicht viel davon mit, außer dass eben der entsprechende Auftrag ausbleibt. Aber was wir häufig erleben, ist, dass dann trotzdem jemand als Backup-Dolmetscher dazu gebeten wird und dann sozusagen als lebendes Wörterbuch fungiert. Das ist natürlich für die betroffenen Kolleginnen und Kollegen kein sehr attraktiver Einsatz. Es ist mindestens genauso anstrengend wie echtes Dolmetschen. Man muss damit kämpfen, nicht unaufmerksam zu werden, denn dann kommt garantiert gerade der Fachbegriff, der einem vielleicht so auf Anhieb nicht einfällt.
Das ist natürlich sehr unschön und nicht sehr befriedigend, aber ich sehe auch nicht, wie man das ändern kann. Das ist nun einmal die Entwicklung der Dinge.
AIIC: Das ist natürlich etwas, was auch der Privatmarkt erlebt und was uns alle nicht amüsiert. Aber noch eine andere Frage zu dem Thema: Merken Sie selbst oder bekommen Sie das Feedback von den Kollegen, dass Politiker auf den höheren Ebenen, besonders auch beim Auswärtigen Amt, anders miteinander sprechen, anders miteinander umgehen? Bekommen das die Dolmetscher mit?
R.S.: Das ist schwer zu sagen. Ich habe immer das Gefühl, dass da die individuellen Unterschiede deutlich größer sind als die, die sich durch den Zeitablauf ergeben.
AIIC: …nehmen wir den derzeitigen US-Präsidenten, der ist ja ein herausragendes Beispiel in seiner Sprachfassung oder in seinem Sprachstil.
R.S.: Das ist recht einzigartig, ja.
AIIC: Bekommen Sie mit, dass die Dolmetscher damit zu kämpfen haben?
R.S.: Ja, die Dolmetscher machen sich natürlich immer Gedanken darüber, wie wörtlich, wie genau sie dem Stil und der Stilebene entsprechen sollen oder wie genau man etwas wiedergeben darf. Die Frage treibt natürlich viele um.
AIIC: Haben Sie da eine Empfehlung? Die eine strikte Schule ist ja, ich dolmetsche das, was ich höre, Stil, Register…
R.S.: Also, ich liege eigentlich auch auf dieser Linie. Wir hatten das ja früher auch schon bei deutschen Politikern, die sich eher mal flapsig ausdrückten oder die mal Bemerkungen im Dialekt fallen ließen. Ich war immer der Meinung, das wir sind dem Original verpflichtet sind, es soll ja ein authentischer Eindruck vom Sprecher vermittelt werden. Die politische Verantwortung für die Äußerung trägt der Politiker. Dafür wird er bezahlt. Und wie gesagt, auch wenn es sich um einen ausländischen Politiker handelt, soll mein Politiker, dem ich zur Loyalität verpflichtet bin, einen möglichst authentischen Eindruck von dem Sprecher bekommen. Insofern würde ich persönlich nicht zum Weichspülen neigen… Aber das Thema wird durchaus kontrovers diskutiert.
AIIC: Schulen Sie Ihre Dolmetscher dahingehend ein wenig oder leiten sie an?
R.S.: Nein, wir haben ja nun überwiegend sehr erfahrene Kollegen und es liegt mir fern, meine Mitarbeiter zu instruieren oder auf eine Linie einzuschwören.
AIIC: Was ist mit jüngeren Kollegen, die reinkommen, die auch in einer ganz anderen, in einer digitalen Sprachwelt aufwachsen?
R.S.: Gut, mit denen würde man, wenn das Gespräch darauf kommt, natürlich darüber reden. Die kommen dann auch selber und fragen: „Wie würdest du in der Situation dann damit umgehen?“ Und da kann man dann ja auch sagen: “Wir hatten früher diese und jene Situation. Und das haben wir dann so und so bewältigt.“ Das würde ich natürlich ganz offen sagen, da haben wir auch untereinander ein sehr vertrauensvolles Verhältnis.
AIIC: Also, das kann schon mal zum Thema werden?
R.S.: Ja, ja, durchaus. Und wie Sie sagen, gerade bei den jüngeren Kollegen oder auch in den Sprachen, in denen keine echte Dolmetscherausbildung stattfindet, haben wir diese Frage natürlich besonders häufig. Die kommen dann aus dem philologischen Bereich und beherrschen ihre Sprache sehr gut, aber für sie ist die Dolmetschsituation doch noch etwas Fremdes, und das ist es dann auch unsere Aufgabe als erfahrenere Kollegen, ihnen zu helfen.
AIIC: Wäre das ein Punkt, von dem Sie sich vorstellen könnten, dass dieses Thema ggf. in einem Fortbildungsseminar abgedeckt werden könnte, oder ist das etwas, was Sie lieber intern handhaben?
R.S.: Ich denke, das ist etwas, was sich intern gut spontan entwickelt, weil die Kollegen ja auch untereinander ständig im Gespräch sind. Deshalb würde ich zumindest hier bei uns in unserem Bereich nicht so den Bedarf dafür sehen. Ich weiß nicht, in den kleineren Häusern mit weniger Ansprechpartnern mag das eventuell anders sein.
Übrigens: Im konkreten Fall des US-Präsidenten sind es ja auch nicht unsere Dolmetscher, die ihn ins Deutsche dolmetschen. Denn unsere Dolmetscher dolmetschen die Bundeskanzlerin ins Englische.
AIIC: Stimmt! Sie dolmetschen dann ja nicht ins Deutsche.
R.S.: Nein, wir sind die Stimme unseres jeweiligen Chefs und der US-Präsident wird dementsprechend von der amerikanischen Seite gedolmetscht. Das ist ja das übliche Verfahren. Aber es gibt natürlich durchaus auch mal Situationen, in denen wir in diese Bredouille geraten.
AIIC: Herr Schmieger, wir haben keine Fragen mehr auf unserer „Liste“ und haben Ihre Zeit auch reichlich in Anspruch genommen. Haben Sie ganz herzlichen Dank für dieses Interview und weiterhin alles Gute!
Lesen Sie auch den 1. Teil dieses Interviews hier.